Christoph Schreier

 

Mehrfach belichtet
Positionen zeitgenössischer Fotografie aus Nordrhein-Westfalen

 

... Nun ist die Zeit fraglos eines der großen Themen der Gattung, das auch den den Arbeiten von Gudrun Kemsa ihren Niederschlag gefunden hat. Während die Fotografie in ihrer üblichen Nutzung jedoch das Raum-Zeit-Kontinuum segmentiert, was sich in dem mehr oder weniger gelungenen „Schnappschuß" dokumentiert, sind ihre Bilder zeit-, und wie später zu belegen sein wird, auch raumhaltig. Deutliche wird dies an dem in der Ausstellung präsentierten Videoband, das während ihres Aufenthaltes an der Villa Massimo in Rom entstanden ist. Es zeigt in einer einzigen, unveränderten Einstellung, eine teils sonnenbeschienene teils verschattete Arkade, das Umfeld einer einzelnen Säule, die bedingt durch den langen Aufnahmezeitraum, wie eine Sonnenuhr funktioniert. Entsprechend wandert der Schatten um ihre schlanke Achse und steckt damit nicht nur einen fast intimen Raum, sondern auch einen stundenwährenden Zeitlauf ab. An Hand des sich verändernden Lichts wird auf diese Weise Zeit am Motiv der vermeintlich zeitlosen klassischen Architektur des Südens erfahrbar.

 

Ihr Medium ist, wie gesagt, das Licht, das nicht nur eine Voraussetzung für das Entstehen von Videofilmen und Fotografien darstellt, sondern zudem, in dem hier gegebenen Fall, ein Fluidum erzeugt, das die Dinge umgibt. Statt sie isoliert in den Blick zu nehmen, verbindet Gudrun Kemsa sie mit ihrem Umfeld, ein Charakteristikum, das auch für ihre Fotoarbeiten gilt. Schon seit Jahren benutzt sie regelmäßig eine Panorama-Kamera, die für die Darstellung des Raumes als eines Kontinuums prädestiniert ist. Mit ihrer Hilfe verbindet Gudrun Kemsa das Einzelne mit dem Ganzen, das Besondere mit dem Allgemeinen, in der Weise etwa, dass viele ihrer in Italien entstandenen Fotos einen fließenden Übergang zwischen Kultur und Natur, zwischen der klassischen Architektur der Vergangenheit und der wuchernd-lebendigen Kraft der südlichen Vegetation vor Augen führen. Dieser Eindruck wird dann noch dadurch verstärkt, dass Gudrun Kemsa die Kamera bei der Aufnahme verreißt. Auf diese Weise verlieren sich die Konturlinien zugunsten eines malerischen Verfließens der Farb/Formen, das ihren Fotos einen fast „malerischen Aspekt" verleiht. ...

 

Lit.: "Fotografie aus Nordrhein-Westfalen heute", Katalog zur Ausstellung vom 24.9. bis 26.10.2000 im ZDF Sendezentrum Mainz